ZEIT ONLINE / 28.02.2020 / Eine Reportage von Ulrich Krökel, Bratislava
Auf absehbare Zeit zerbrechlich
Bei der Parlamentswahl in der Slowakei geht es auch um die Frage: Wie liberal und demokratiefähig sind die EU-Staaten im östlichen Europa? Über ein Land im Wandel.
Durch die Altstadtgassen weht Kaffeehausduft. Ein Straßenverkäufer setzt Bryndzové halušky dagegen, Schafskäsenocken mit Speck, eine slowakische Spezialität. "Welcome to the heart of Europe", steht auf einer Souvenirtasse mit aufgemaltem Herzen. Von Bratislava bis Wien sind es 55 Kilometer Luftlinie. Die Donau verbindet beide Städte. Willkommen also in Mitteleuropa. Und doch bleibt die Slowakei für viele Menschen im EU-Westen: Osten. Teil einer Region, in der autoritäre Nationalisten und Populisten regieren. Viktor Orbán in Budapest, Andrej Babiš in Prag und die PiS von Jarosław Kaczyński in Warschau. Doch so einfach ist es nicht.
"Im Vergleich zu Tschechien, Ungarn und Polen sind wir auf einem guten Weg", sagt Grigorij Mesežnikov, der das Institut für Öffentliche Angelegenheiten in Bratislava leitet. Demnach strebt die Slowakei, wo die Menschen längst mit Euro bezahlen statt mit Kronen, Forint oder Złoty, weg von der illiberalen Ideologie eines Orbán, hin zu einer weltoffenen Demokratie mit einem gefestigten Rechtsstaat. Dafür steht nicht zuletzt die junge Präsidentin Zuzana Čaputová. Mesežnikov kennt sie persönlich, allerdings aus einer Zeit, als die Bürgerrechtlerin und Umweltaktivistin noch weithin unbekannt war. Das war vor dem 21. Februar 2018. Vor dem Mord an dem Journalisten Ján Kuciak.
Mit seinen Recherchen in politiknahen Netzwerken der organisierten Kriminalität hatte sich der Reporter mächtige Feinde gemacht. In den Wochen nach dem Mord strömten deshalb in der Slowakei Hunderttausende auf die Straßen, um gegen Korruption, Oligarchie und Mafiamethoden in Politik und Wirtschaft zu demonstrieren. Čaputová marschierte vorneweg und wurde im Jahr darauf zur Präsidentin gewählt. Der langjährige Premier Robert Fico dagegen musste gehen. Eine Interimsregierung übernahm die Geschäfte, während Ermittler und Medien den Mord an Kuciak aufzuklären begannen.
Sichtbar wurde eine Schattenwelt, über die Mesežnikov noch immer den Kopf mit der silbergrauen Löwenmähne schüttelt. Mit seinen bald 62 Jahren hat der Politikwissenschaftler viel Zeitgeschichte aufgesaugt, aber "was bei den Kuciak-Ermittlungen ans Licht gekommen ist, das habe ich für unmöglich gehalten". Demnach entpuppte sich der Immobilienunternehmer Marián Kočner als "Pate eines mafiosen Makroimperiums". Der Multimillionär habe "mächtige Leute in Politik, Justiz, Geheimdiensten und Polizei wie Marionetten gelenkt". So entstand ein Staat im Staate.